Montag, 25. April 2016

Stapelfeld: signifikant gefährlich


Cloppenburg-Stapelfeld:


eine Mülldeponie, ein signifikant erhöhtes Krebsrisiko und ein Kausalitätsstreit



Wer VVC liest, wird vielleicht an die Abkürzung der niederländschen Fremdenverkehrsvereine denken, bei denen VVV für Vereniging voor Vreemdelingenverkeer steht. Und wer etwas von einem Verkehrs- und Verschönerungsverein aus dem Emsland hört, wird dabei kaum eine erfolgreiche Bürgerinitiative vor Augen haben.


Dabei hat es der Verkehrs- und Verschönerungsverein für den Cloppenburger Südwesten e. V., wie sich der VVC selbst offiziell nennt, geschafft, in einer mehrjährigen Auseinandersetzung auf eine besonders gefährliche Mülldeponie im Cloppenburger Stadtteil Stapelfeld aufmerksam zu machen, die inzwischen stillgelegt ist und abgedeckt wird. 

Das war ein schwieriger Kampf! Auch wenn in diesem Fall die Ergebnisse einer Studie des niedersächsischen Krebsregisters ein signifikant erhöhtes Krebsrisiko im Bereich der Mülldeponie auswiesen, war der Weg zum Erfolg nicht leicht, da sich die Politik im Kreis Cloppenburg eher als Widersacher gegenüber den Bürgerinteresse denn als Anwalt von Bürgern erwiesen hat, die begründetermaßen um ihre Gesundheit besorgt waren.

Der umstrittene Problemfall ist in diesem Fall eine Deponie für Hausmüll, die der Landkreis Cloppenburg im Stadtteil Stapelfeld der Kreisstadt Cloppenburg im niedersächsischen Emsland betreibt. Ihre Geschichte hat der VVC in einem Video dargestellt, das am 19.10.2011 bei youtube hochgeladen wurde und sich seitdem abrufen lässt.


VVC-Video "Cloppenburg // Ja zur Krebsursachenforschung // 2011
                                    Quelle: youtube.com


Eine Wahlversammlung mit Krebsaufklärung


                          Einzäunung der Mülldeponie Stapelfeld
          Quelle: youtube-Video "Cloppenburg // Ja zur Krebsursachenforschung // 2011"


Der öffentlich gewordene Kontaminationsfall Stapelfeld hat einen ungewöhnlichen Beginn. An Anfang stand am 6. September 2006 eine Versammlung der CDU zur Kommunalwahl 2006 . Vor dem Veranstaltungsraum machten damals Mitglieder des VVC mit Plakaten auf ihre Ablehnung einer Südtangente aufmerksam, von der sie ihre Wohngebiete bedroht sahen. Es schien also um die üblichen Themen eines lokalen Wahlkampfes zu gehen und nichts deutet an, dass der Verschönerungsverein kurze Zeit später ein ganz anderes Thema aufgreifen würde, das ihn über Jahre beschäftigen und dessen Vertretung ihn bis in die Landeshauptstadt Hannover führen sollte.

Für diese Neuausrichtung sorgte eine Stapelfelder Bürgerin, die als unmittelbar Betroffene einen Teil ihrer Lebensgeschichte schilderte und anschließend eine Frage an den Bürgermeister richtete, die vermutlich keinen im Saal kalt ließ. Diese junge Frau berichtete von einer Häufung von Krebsfällen in ihrer Familie. So waren ihre jünger Schwester, ihr Bruder und ihre Mutter, aber auch Menschen in ihrer Nachbarschaft in der letzten Zeit an Krebserkrankungen verstorben. Da diese ungewöhnliche Häufung von Krebstoten ihrer Meinung nach mit der benachbarten Mülldeponie zusammenhänge könne, bat sie den Bürgermeister um eine entsprechende Untersuchung.

In seiner Antwort machte er ein besonders konkretes Wahlversprechen: ,,Die kommenden 14 Tage habe ich keine Zeit. Aber danach werden ich mich bei Ihnen melden.” 

Aber auch Mitglieder des VVC erkannten die Bedeutung dieser Thematik für das Leben der Menschen im Cloppenburger Südwesten und machten deutlich, dass sie sich der Sache annehmen wollten, wenn der Bürgermeister nichts unternehme.


                                Angesammeltes Deponieabwasser
         Quelle: youtube-Video "Cloppenburg // Ja zur Krebsursachenforschung // 2011"


Der VVC als Bürgervertretung der Krebsbetroffenen


 Auszug aus der Aufstellung der Krebserkrankungen und -sterbefälle
                Quelle: Video "Cloppenburg // Ja zur Krebsursachenforschung // 2011"



Da weder die in Cloppenburg dominierende CDU noch der aus ihre Reihen stammende Bürgermeister die Krebsproblematik in Stapelfeld wie versprochen aufgriffen, unterstützte der VVC seit Oktober 2006 kontinuierlich die Betroffenen. So erstellte man bis zum Herbst 2006 eine Liste der seit 1979 an Krebs erkrankten oder verstorbenen Einwohner, die in maximal einem Kilometer Entfernung von der Deponie lebten.  
  
Im April und Mai 2007 folgten systematische Beobachtungen auf der Mülldeponie und Gespräche mit Anwohnern. Dabei stellte man Lücken im Absperrzaun und übelriechende Flüssigkeiten fest, die in einem Graben am Rand der Deponie gesammelt wurden. 

Außer durch diese Gase kann es vor allem früher zu weiteren Expositionen mit gefährliche Stoffen gekommen sein, da nach den Worten mehrerer Augenzeugen Kinder die Deponie früher als Abenteuerspielplatz benutzt haben, die dabei nicht einmal ein Geheimtipp gewesen ist. So schilderte ein Beobachter seine Eindrucke mit den Worten, die Deponie sei dann "schwarz von Kindern" gewesen. 

Am 10. Oktober 2006 konnte der VVC auf einer Pressekonferenz die ersten Ergebnisses ihrer systematischen Recherchen präsentieren. Danach hatten die Familie in einem Halbkreis von knapp einem Kilometer um die Mülldeponie 32 Erkrankte und Tote während der letzten dreißig Jahre aufgelistet. Diese Fälle wurde durch Punkte auf einer Karte dargestellt, wobei sich ein deutliches Muter erkenne lässt. Die Punkte bilden einen Trichter, der sich von der Deponie in nordöstliche Richtung ausbreitet. Daraus zog der VVC-Sprecher die Schlussfolgerung: "Das kann kein Zufall sein in einem so dünn besiedelten Gebiet". (Kreke)

Gleichwohl legte man sich nicht auf diese offenbar wahrscheinliche Gefahrenquelle nicht fest, sondern verlangte dann die Beseitigung des anderen Gefahrenherdes. 

Als Reaktion auf die Daten und die Presseberichte kündigte das zuständige Ministerium eine Untersuchung an, um "Klarheit zu schaffen". (Kreke)


Die erste Analyse des niedersächsischen Krebsregisters von 2008


Die "Verdachtsäußerungen von Bürgern", wie es in der Studie des Krebsregisters heißt, führten zu Aufträgen des Ministeriums an die zuständigen Landesbehörden, und zwar das Landesgesundheitsamt (NLGA) und das Krebsregisters (EKN)


Da das niedersächsische Krebsregister erst Jahr 2000 seine Erprobungsphase begann, lag eine flächendeckenden Erfassung von Krebserkrankungen in ganz Niedersachsen seit dem Jahr 2003 vor, wobei der Anteil der gemeldeten Krebsneuerkrankungen auf über 90 % aller Krebsneuerkrankungen geschätzt wird.

Ausgehend von diesem einschränkenden Datenmaterial versuchten das Krebsregister und das Landesgesundheitsamt die Frage nach einem möglicherweise erhöhten Krebsrisiko im Bereich der Mülldeponie Stapelfeld auf zwei unterschiedlichen Wegen zu beantworten. Diese Vorgehensweise kann, wie die Ergebnisse zeigen werden, sowohl deren Verlässlichkeit erhöhen als auch weitergehend neue Fragestellungen aufgrund unerwarteter Detailresultate anregen.

Die Teilregionen A, B, C und D


Beide Behörden wählten mit den Krebstoten bzw. den Krebsneuerkrankungen zwar unterschiedliche Indikatoren für das Krebsrisiko, entschieden sich jedoch gemeinsam für ein sehr ähnliches Forschungsdesign. So untergliederten beide die Umgebung der Mülldeponie in Stapelfeld in vier Untersuchungsregionen, die eine abweichende durchschnittlich Entfernung zur möglichen Emissionsquelle 
aufweisen.

Geht
man vom Entsorgungszentrum Stapelfeld aus, dessen Eingang sich am Ende der Straße Keemoor befindet, bietet sich die Bundesstraße 213 als Abgrenzung zur Cloppenburger Innenstadt an.


                        Lage des Entsorgungszentrums Stapelfeld

   Quelle: google.com

Die jeweiligen Straßen, die als Grenzen der Teilgebiet dienen, lassen sich aus der folgenden Karte erkennen.

Die veröffentlichten Berichte des Krebsregisters und des Landesgesundheitsamtes erläutern die vorgenommene Abgrenzung nicht weiter. So erfährt ein Leser nichts darüber, warum gerade diese Untergliederung in vier Teilbereiche gewählt wurde und man keine Abgrenzung gewählt hat, die sich stärker an ein Modell konzentrischer Ringe um die Mülldeponie anlehnt. Auch auf Detailfragen wie die Aussparung eines größeren Areals zwischen den Gebieten C und D lässt sich so anhand der Texte keine Antwort geben.



            Die Untersuchungsgebiete A, B, C und D
    Quelle: Video "Cloppenburg // Ja zur Krebsursachenforschung // 2011"


Da man von der Hypothese ausging, dass sich ein mögliches erhöhtes Krebsrisiko durch die Deponie mit der Entfernung von der potenziellen Emissionsquelle abschwächt, haben bereits die Mitglieder des VVC für ihre Datensammlung ein entsprechende Abgrenzung vorgenommen. Dabei wurde der westliche Teil zwischen der Deponie und der Bundesstraße als A-Bereich und der sich östlich anschließende als B-Bereich bezeichnet. Teilregionen A und B gemeinsam die ursprüngliche Verdachtsregion des VVC, die sogenannte „Kernregion“, bilden.

Als Vergleichsregionen für dieses Kerngebiet wurden die Wohngebiete nördlich der B 213 im Westen als C-Bereich und im Osten als D-Bereich ausgewiesen und erfasst.
     


Ein signifikant erhöhtes Krebsrisiko bei der Mortalität


Anlass für die Untersuchung ist eine Vermutung von Anwohnern - die später vom „Verkehrs- und Verschönerungsverein für den Südwesten von Cloppenburg“ (VVC) aufgegriffen wurde, dass es in einem Wohngebiet nordöstlich von der Mülldeponie Stapelfeld zu übermäßig vielen Krebserkrankungen in den letzten Jahrzehnten gekommen sei(Kieschke 2008, S. 3)


                                 Quelle: Deckblatt der EKN-Studie von 2008



Nach der Studie des Krebsregisters führten "Verdachtsäußerungen von Bürgern .. als denkbare Ursache einer eventuell erhöhten Krebssterblichkeit die nahegelegene Mülldeponie an" Dabei wurde diese These weder durch spezifische Expositionsszenarien für die Anwohner noch spezielle Krebsdiagnosen konkretisiert.

In seiner Auswertung der Mortalitätsdaten hat sich die ursprüngliche Fragestellung daher auf die allgemeine Krebssterblichkeit beschränkt.


Daher sollte "eine orientierende Untersuchung" klären, ob sich der Anfangsverdacht einer regionalen Krebshäufung in diesem Wohnbereich erhärten lässt. Diese Auswertung durch das EKN beschränkte sich dabei auf die Analyse von Todesbescheinigungen und war Teil eines Untersuchungskonzeptes unter Federführung des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA), das sich selbst in einer parallelen Untersuchung des NLGA mit der Inzidenz, also den Neuerkrankungen während der letzten zwanzig Jahre in dem fraglichen Gebiet beschäftigt hat.

Für die Untersuchung des Krebsregisters wurde eine Nacherfassung der Todesbescheinigungen aus diesem Untersuchungsgebiet durch das Gesundheitsamt Cloppenburg bis zum Jahr 1987 zurück durchgeführt. Dabei beschränkte man sich auf das Untersuchungsgebiet innerhalb der Stadt Cloppenburg, so dass beim Bereich B  die Krebssterbefälle im relativ kleinen Teil der Gemeinde Cappeln nicht berücksichtigt sind.

Das Hauptziel dieser Untersuchung war es, für das Untersuchungsgebiet
Erwartungswerte zu schätzen, um beurteilen zu können, ob die beobachtete Anzahl an Sterbefällen außerhalb zu erwartender Zufallsschwankungen liegt.
Damit beschränkte sich die ursprüngliche Fragestellung auf die allgemeine Krebssterblichkeit. 

Als zentrales Ergebnis wurde dabei für das Untersuchungsgebiet während der Beobachtungsjahre 1987 – 2006 eine auf dem 5%-Niveau signifikant erhöhte Krebsmortalität beobachtet. 


Mortalität 1987 - 2006

Region
Sterbefälle
SMR (1)    insgesamt
SMR (1) Frauen
A
11
1,31
1,46
B
7
1,10
1,34
A und B
18
1,22
1,41
C
50
1,44
1,91
D
24
1,76
1,93
A - D
92
1,46
1,80
(1) SMR: Standardisierte Mortalitätsrate (bezieht Sterbefälle auf eine "Durchschnittsbevölkerung")
Quelle: Kieschke 2008, S. 15 f.



Auch wenn die Erhöhungen des SMR insbesondere in den Wohnbereichen C und D ausgeprägt und in den Bereichen A deutlich und B leicht erhöht sind, bewegen sich die Abweichungen bei den Männern noch innerhalb eines Signifikanzniveaus von 95 % signifikant. (Kieschke 2008, S. 12)

Das sieht bei den Frauen anders aus; denn in diesem Fall sind die SMRs für mehrere Teilgebiete und Zeitintervalle signifikant. Das gilt spezielle für die Wohngebiete C und D  - dort erreichte der SMR mit 2,09 im Zeitraum 
1987 - 1986 seinen maximalen Wert - sowie das Untersuchungsgebiet insgesamt, wo ein SMR von 1,8 errechnet wurde, wie die Tabelle ausweist. (Kieschke 2008, S. 12)

Die in dieser Analyse untersuchte Fragestellung, ob in den zusammengefassten Wohnbereichen A bis D in den letzten 20 Jahren überdurchschnittlich häufig Krebssterbefälle aufgetreten sind, muss somit - zumindest bei Frauen - bejaht werden. In diesem Sinne muss das Ergebnis der orientierenden Evaluation als Erhärtung des Anfangverdachtes gewertet werden. Für die am dichtesten an die Mülldeponie angrenzenden Wohnbereiche A und B, sind die durchgeführten Tests jedoch weder einzeln noch zusammengefasst signifikant. Das Verhältnis der beobachteten zur erwarteten Fallzahl (SMR) ist zwar bei Frauen auch in diesen
Wohnbereichen erhöht, bleibt jedoch deutlich unter der Größenordnung der weiter entfernt liegenden Wohnbereiche C und D. (Kieschke 2008, S. 19)


     Übersterblichkeit in den vier Stapelfelder Untersuchungsgebieten

   Quelle: youtube-Video "Cloppenburg // Ja zur Krebsursachenforschung // 2011"

 
Der Anteil an Todesbescheinigungen mit dokumentierten Tumoren liegt im Untersuchungsgebiet mit durchschnittlich 39,2 % über dem niedersächsischen Vergleichswert von etwa 30 %. Insbesondere die letzten beiden Jahre hatten erhöhte Anteile von Todesbescheinigungen mit dokumentierten Tumoren von 60,0 % im Jahr 2005 und von 72,7 % im Jahr 2006.

Bei den Frauen wurden etwa 24 Krebssterbefälle mehr beobachtet, als in diesem Zeitraum zu erwarten wären, bei den Männern etwa fünf mehr. (Kieschke 2008, S. 15)

Insbesondere bei den Frauen liegt jedoch die beobachtete Anzahl an Krebssterbefällen bei allen regionalen und zeitlichen Subanalysen über den erwarteten Werten. Das Standardisierte Mortalitäts-Ratio (SMR) ist sowohl für die Wohnbereiche C und D als auch für die zusammengefassten Wohnbereiche A bis D für den gesamten 20-Jahresuntersuchungszeitraum statistisch signifikant erhöht. Dies gilt für eine Testung auf dem 5%- wie auch auf dem 1%-Signifikanzniveau. (Kieschke 2008, S. 17)

 Unterschiede im Anteil der Todesbescheinigungen mit dokumentierten Tumoren können in der Altersstruktur der Bevölkerung liegen, jedoch auch an regionalen Faktoren wie den Dokumentationsgewohnheiten von Ärztinnen und Ärzten auf Todesbescheinigungen.

Insbesondere bei den Frauen liegt jedoch die beobachtete Anzahl an Krebssterbefällen bei allen regionalen und zeitlichen Subanalysen über den erwarteten Werten. Das Standardisierte Mortalitäts-Ratio (SMR) ist sowohl für die Wohnbereiche C und D als auch für die zusammengefassten Wohnbereiche A bis D für den gesamten 20-Jahresuntersuchungszeitraum statistisch signifikant erhöht. Dies gilt für eine Testung auf dem 5%- wie auch auf dem 1%-
Signifikanzniveau. (Kieschke 2008, S. 17)


Insbesondere bei den Frauen liegt jedoch die beobachtete Anzahl an Krebssterbefällen bei allen regionalen und zeitlichen Subanalysen über den erwarteten Werten. Das Standardisierte Mortalitäts-Ratio (SMR) ist sowohl für die Wohnbereiche C und D als auch für die zusammengefassten

Wohnbereiche A bis D für den gesamten 20-Jahresuntersuchungszeitraum statistisch signifikant erhöht. Dies gilt für eine Testung auf dem 5%- wie auch auf dem 1%-Signifikanzniveau. (S. 17)



Die Mortalität nach Zeitintervallen

Wie bereits der besonders hohe SMR-Wert für den Zeitraum bei Frauen, die im Bereich D gelebt haben, andeutet, haben sich die Todesfälle nicht gleichmäßig über den gesamten Untersuchungszeitraum verteilt.


Mortalität in den Zeiträumen 1987-1996 und 1997-2006 in den vier Untersuchungsbereichen
                                      Quelle: Kieschke 2008


Die bis 1987 zurückreichende Sammlung der Todesfälle ermöglicht bereits eine zeitliche Analyse für die vieri Teilregionen, die sich noch auf eine relativ große Fallzahl stützen kann. Das trifft zumindest zu, wenn man nur zwei Zeitintervalle von jeweils zehn Jahren betrachtet. Das ist zumindest bei einer vermuteten relativ konstanten Emissionsquelle und den langen Latenzzeiten bei den meisten Krebslokalisationen sachlich gerechtfertigt


Während nach dieser Gegenüberstellung das Krebsrisiko im gesamten Untersuchungsgebiet leicht gestiegen ist, hat es in der Kernregion eine deutlich abweichende Entwicklung gegeben; denn hier ist die SMR kräftig von kaum nennenswerten 1,07 auf 1,51 und damit zu einer Erhöhung von mehr als 50% gegenüber der als durchschnittlich ausgewählten Vergleichsregion gestiegen.

Dazu haben nicht die letzten drei Jahre beigetragen. Dreiundzwanzig der 92 beobachteten Krebssterbefälle sind in den letzten drei Jahren aufgetreten, während im Durchschnitt der betrachteten 20 Jahren jährlich nur 13 Personen an Krebs gestorben sind. Man hätte danach also mit 39 Todesfällen rechnen müssen, während es tatsächlich mehr als doppelt so viele waren.

Die zeitliche Konzentration ist im Bereich A auffällig, wo sieben der elf dokumentierten Krebssterbefälle in den letzten fünf Untersuchungsjahren registriert wurden. Die Beobachtung dieser zeitlichen und räumlichen Häufung unmittelbar an der Mülldeponie könnte Anlass für die Initiierung dieser Untersuchung gewesen sein. 

Damit stieg auch der Anteil der Todesursache Krebs, die damit entsprechend wahrgenommen werden konnte. So lag der Anteil an Todesbescheinigungen mit dokumentierten Tumoren im Untersuchungsgebiet während der zwanzig Jahre mit durchschnittlich 39,2 % über dem niedersächsischen Vergleichswert von etwa 30 %. Dieser Anteil änderte sich dann jedoch in den beiden letzten Jahre ungewöhnlich stark, als dieser 2005 auf 60,0 % und 2006 auf 72,7 % anstieg. Man konnte daher ohne eine extreme Übertreibung den Eindruck gewinnen, dass die Menschen im Untersuchungsgebiet fast nur noch an Krebs sterben.


Unterschiede im Anteil der Todesbescheinigungen mit dokumentierten Tumoren können in der Altersstruktur der Bevölkerung liegen, jedoch auch an regionalen Faktoren wie den Dokumentationsgewohnheiten von Ärztinnen und Ärzten auf Todesbescheinigungen. Jedoch liegt insbesondere bei Frauen die beobachte Anzahl an Krebssterbefällen für alle regionalen und zeitlichen Subanalysen über den erwarteten Werten. Dabei ist für die Wohnbereiche C und D und für die gesamte Untersuchungsregion das SMR für den gesamten Untersuchungszeitraum statistisch auffällig erhöht. Bei den Männern liegen hingegen die beobachteten Krebstodesfälle durchgängig im Erwartungswertkorridor.



Die Lokalisationen der Stapelfelder Krebstoten


Die Auswertung der Todesfälle ergab eine breite Streuung der Lokalisationen. Daher sind der folgenden tabellarischen Aufstellung nur Erkrankungen aufgeführt, für die vier und mehr Todesfälle registriert wurden. Insgesamt sind es bei Frauen nach der Aufstellung des EKN "17 Diagnosen(-gruppen)"

Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Frauen und Männern. Und das nicht nur bei den von der Biologie bedingten geschlechtsspezifischen Erkrankungen.


Das hat auch das Krebsregister betont und eine Analyse getrennt für beide Geschlechter vorgenommen.

Die höchste Übersterblichkeit gibt es bei Frauen beim Bauchspeicheldrüsenkrebs (4,6 Fälle), gefolgt vom Brustkrebs (3,5 Fälle) und bei Männern beim Darmkrebs (3,0 Fälle). Insgesamt verteilt sich die Übersterblichkeit bei den Frauen auf 17 Diagnosen(-gruppen), wobei neben dem erwähnten Bauchspeicheldrüsenkrebs mit 4,6 mehr beobachteten als erwarteten Krebssterbefällen insbesondere gynäkologische Tumore (Brustkrebs C50, Eierstockkrebs C56, Gebärmutterkrebs C53-55) mit zusammen 8 mehr beobachteten als erwarteten Krebssterbefällen einen Hauptanteil an der Übersterblichkeit bei Frauen verursachen. (Kieschke 2008, S. 16)

Auffällig waren bei der Bewertung des Diagnosenspektrums bei der Mortalität insbesondere Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie bei der Erhebung des NLGA zu den Neuerkrankungen das Multiple Myelom. (Kieschke 2013. S. 3)



Sterbefälle in den Jahren 1987 - 2006 nach den neun häufigsten Diagnosen

Lokalisation Kenn-Nr.
Todesfälle
Übersterblich-keit Männer
Übersterblichkeit Frauen
Lunge C33-C34
16
1,1
2,9
Darm C17-C21
12
3,0
-0,2
Brustdrüse C50 9 -
3,5
Bauchspeicheldrüse C25
7
-0,5
4,6
Unbekannter Primärtumor C80
6
0,8
2,4
Eierstock C56 5 -
3,0
Multiples Myelom C90
4
1,4
1,4
Leber C22
4
1,3
1.5
Magen  C16
4
-1,3
0,8
Quelle: Kieschke 2008, S. 15 f.
   


Damit ergibt die diagnosenspezifische Analyse keine Hinweise für Häufungen von spezifischen Krebsdiagnosen, die besonders im Zusammenhang mit Schadstoffexpositionen zu diskutieren wären. Die hohe Krebsübersterblichkeit bei Frauen beruht insbesondere auf gynäkologischen Tumoren und dem Bauchspeicheldrüsen- sowie in geringeren Maße auch dem Lungenkrebs. 

Bei den Männern fällt hingegen die hohe Übersterblicheit bei Darmkrebs auf, während es bei Prostatakrebs sogar eine Untersterblichkeit gibt, hier also kein ähnliches Muster wie bei den gynäkologischen Lokalisationen vorliegt.

Ähnliche deutliche Übersterblichkeiten für beide Geschlechter findet man vor alem für Muliple Myelome sowie Leber- und abgeschwächt auch für Lungenkrebs. Dabei verdient MM eine besondere Beachtung, auf die auch das Landesgesundheitsamt in seiner Auswertung der Neuerkrankungen hingewiesen hat, da diese Erkrankungen möglicherweise aus einem auslösenden Einfluss von Schadstoffen wie Benzol resultieren kann. (Kieschke 2013, S. 3)


Diese Detailanalyse unterstützt damit nicht die These von einer kanzerogenen Emissionsquelle, auch wenn vier von insgesamt Todesfällen bei einer relativ seltenen Lokalisation relativ viel ist. Ihr Anteil liegt in Deutschland insgesamt bei 1,7 %, während es im Stapelfelder Untersuchungsgebiet immerhin 4,3% sind, also ein Mehrfaches bei einer absolut allerdings geringen Zahl.
  

Die Einwohnerbefragung im Hinblick auf Neuerkrankungen


Da die Ergebnis der Studie des Krebsregisters früher veröffentlicht wurde als die Auswertung der Befragung zu den Neuerkrankungen, haben sie zunächst die Diskussion um den Problemfall  Stapelfeld geprägt. Die Arbeit des Landesgesundheitsamtes wurde daher in einer bereits vorgeprägten öffentlichen Meinung publiziert.


            Rücklauf bei der Befragung zu den Neuerkrankungen
                      Quelle: Video "Cloppenburg // Ja zur Krebsursachenforschung // 2011"


Abweichend von den Sterbefällen, die von den Ärzten gegen ein kleines Honorar an die Krebsregister gemeldet werden, musste die Zahl der Neuerkrankungen durch eine eigene Befragung der Bewohner erhoben werden. Ihr Qualität hängt damit erheblich von der Rücklaufquote ab. Fast zwangsläufig wurde damit die Inzidenz weniger umfassend als die Mortalität erfasst. Dabei bleibt ungeklärt, wie auf diese Weise die tatsächliche Krebsrealität im Stapelfelder Untersuchungsgebiet verzerrt wurde, ob also die in ihrer Familie, Verwandtschaft und Nachbarschaft unmittelbar Betroffenen häufiger geantwortet haben als  andere Bewohner oder nicht. 

Hinweise auf das Verhaltensmuster können die unterschiedlichen Rücklaufquoten in den vier Teilgebieten liefern. Danach zeichnete sich Gebiet A durch einen hohe Rücklauf mit 82,4 % auf, davon bereits 73,2 % in der ersten Response Welle. Im Durchschnitt der vier Teilgebiete waren es hingegen zunächst nur 52,9 %. 

Relativ gering blieb das Interesse im Gebiet C, wo sich kaum mehr als zwei Drittel aller angeschrieben Einwohner beteiligt haben. Offenbar habe also die unmittelbare Nähe zur Mülldeponie zu einer besonders hohen und ein im Rahmen des durchschnittlichen Mortalitätsrisikos im gesamten Untersuchungsgebiet liegendes SMR zu einer eher geringen Rücklaufquote geführt.

Di Autoren selbst bezeichnen den Rücklauf der Einwohnerbefragung von insgesamt 73,6% bzw. 82,4% in der Kernregion als gut zu bezeichnen. Dabei haben 58 der 1.144 antwortenden Personen über eigene Krebserkrankungen berichtet.


Nach einer notwendigen Validierung der Angaben umfasst die Falldokumentation - nach der Validierung in der Kernregion - 137 Neuerkrankungen, und zwar 71 bei Frauen sowie 66 bei Männern. Dem stehen 121,5 erwarteten Fällen gegenüber, die 77,9 Frauen und 63,7 Männer betreffen würden. Auch hier liegt also wie bei der Sterblichkeit ein höheres Krebsrisiko für das weibliche Geschlecht in Stapelfeld vor.


Neuerkrankungen im Zeitraum 1987 - 2006 in den vier Untersuchungsregionen

Region
Neuerkrankungen
Erwartete Neu-erkrankungen
Abweichungen
SIR insgesamt
A
21
17,0
4,0
1,31
B
17
17,3
-0,3
0,98
A und B
38
33,2
4,8
1,14
C
65
61,9
3,1
1,05
D
34
26,3
7,7
1,29
A - D
137
121,5
15,5
1,13
Quelle: NLGA, März 2008, S. 3

Generell ist allerdings die Abweichung zwischen der Zahl der erhobenen und der erwarteten Neuerkrankungen geringer. Das trifft jedoch nicht auf die „Teilregion A“ zu, sowohl die höchste geschätzte Inzidenzrate als auch die höchste Rücklaufquote aufweist. Diese statistische Auswertung von Befragungsdaten bestätigt damit den Eindruck der Bewohner, die erst die Aufmerksamkeit auf die gesundheitlichen Belastungen in der Nachbarschaft der Mülldeponie Stapelfeld gelenkt hat.


Allerdings wirft das Zusammentreffen beider Extremwerte für das Gebet A auch die Frage auf, ob auch in den anderen Teilregionen die Zahl der Neuerkrankungen tatsächlich vollständig erfasst wurde. Immerhin fällt die niedrige Rücklaufquote im Bereich C mi einem Erkrankungsrisiko von 
SRI = 1,05 zusammen, dass hier deutlich unter dem  Mortalitätsrisiko von SMR = 1,44 liegt.

Die Autoren selbst stellen zwar die Probleme beim Abgeglichen verschiedener Datenquellen heausen, um die Neuerkankungen nahezu vollständige zu erfassen. So wurde im Rahmen der vorgelegten  "orientierenden Evaluation§ "die benannten Erkrankungsfälle zum großen Teil noch nicht validiert, so dass die tatsächliche Anzahl von Neuerkrankungen geringer als die ausgewiesene Fallzahl (auf Basis vorläufiger Angaben) sein dürfte."

Ein Vorteil der Inzidenzbetrachtung liegt darin, dass der Ansatz mit dem Ereignis „Erkrankungsbeginn“ bzw. „Erstdiagnose“ zeitlich näher als das Todesdatum an möglichen (Umwelt-)risiken liegt.

Daneben stellte die Analyse jedoch einen wichtigen Teilaspekt heraus, der nicht unmittelbar von den betroffenen Bürgern beobachtete worden war und auch in der Untersuchung des EKN wenig Beachtung fand. 

Das Landesgesundheitsamt konnte eine spezifische Fallerhöhung bei Plasmozytomen bzw. Mulitpen Myelomen (MM) ermitteln, die auf sechs Fällen im gesamten Untersuchungsgebiet basiert. Dazu stellen die Wissenschaftler aus Hannover fest, dass es sich in diesen Fällen um eine Krebserkrankung des Knochenmarks handelt, die in der Regel erst im höheren Lebensalter auftritt. Allerdings konnte in Stapelfeld eine auf absolut wenigen Fällen basierende Häufung dieser insgesamt relativ seltenen Krebserkrankung identifiziert werden, sodass man von einem MM-Clusteer sprechen kann.

Insgesamt konnte der Verdacht, dass es in der gesamten oder in Teilen der Untersuchungsregion zu einer außergewöhnlichen Erhöhung der insgesamt neu aufgetreten Krebserkrankungsfälle gekommen sei, jedoch nicht bestätigt werden. Anders als nach der Auswertung der Mortalitätszahlen liegt das Krebsrisiko bei den Neuerkrankungen daher nach dieser Untersuchung des Landesgesundheitsamtes nicht signifikant über dem der Vergleichsregion. 


Inzidenz und Mortalität

Diese Divergenz zwischen den beiden Ergebnissen führt zwangsläufig zu einer Diskussion der beiden Indikatoren für ein erhöhtes Krebsrisiko und damit mögliche Wirkungen von möglichen gefährlichen Emissionsquellen. Liegt es etwa an den Interessen der beiden Landesbehörden, sind es für Stapelfeld typische Unterschiede oder muss man generell auf die beiden Indikatoren sorgfältig achten, da sie nicht dasselbe messen.

Die Mitarbeiter des Landesgesundheitsamtes stellen die Unterschiede zwischen einer Neuerkrankung und einem Sterbefall heraus, für die kein sehr enger Zusammenhang angenommen werden kann, indem etwa jede Neuerkrankung nach einer gewissen Zeitspanne mit einer für eine für die Lokalisation typischen Wahrscheinlichkeit zum Tod führt.

Dabei verweisen sie darauf, dass die Mortalität nicht allein von  von der Erkrankungshäufigkeit, sondern auch von der Überlebenszeit abhängt. Wichtige Einflussfaktoren sind dabei sowohl die Qualität der medizinischen Versorgung als auch die Inanspruchnahme von Vorsorgemaßnahmen.

Ein methodisches Problem der Mortalitätsbetrachtung sieht man in der Bevölkerungsbewegung. So gibt die Analyse keinen unmittelbaren Aufschluss, wann die Erkrankungen zuerst aufgetreten sind und ob die Verstorbenen zum Diagnosezeitpunkt bzw. die Jahre davor in der Untersuchungsregion wohnten. Insofern votieren die Autoren aus Hannover dafür, die Mortalität bei umweltmedizinischen Fragestellungen gemeinsam mit der Inzidenz zu diskutieren. 

Ein besonderer Vorteil der Inzidenzbetrachtung liegt dabei darin, dass der Ansatz mit dem Ereignis „Erkrankungsbeginn“ bzw. „Erstdiagnose“ zeitlich näher als das Todesdatum mit möglichen ökologischen Risiko verbunden ist. 


Die Abweichungen in den vier Untersuchungsregionen


Nach dem Übersichtsaufsatz des Landesgesundheitsamtes bestehen Unterschiede zwischen den beiden Forschungsansätzen, was sich auch in den Detailergebnissen für die Untersuchungsregionen zeigt.


Das beginnt gleich mit dem zentralen Resultat der Studie des Krebsregisters, die vor allem für die Untersuchungsregionen C und D, aber auch das gesamte Areal A - D ein signifikant erhöhtes Sterblichkeitsrisiko für Krebs ausweist. Das gilt ganz besonders für Frauen in der Region D, für die eine standardisierte Mortalitätsrate (SMR) von 1,93 ermittelt wurde. Mit anderen Worten sterben hier also fast doppelt so viele Frauen an Krebs wie im Durchschnitt.


 Krebsmortalität 1987 - 2006 nach Untersuchungsregion und    Geschlecht

Region
Sterbefälle
SMR insgesamt
SMR Frauen
A
11
1,31
1,46
B
7
1,10
1,34
A und B
18
1,22
1,41
C
50
1,44
1,91
D
24
1,76
1,93
A - D
92
1,46
1,80
Quelle: Kieschke 2007


Von der Tendenz her entspricht die Auswertung der Krebsneuerkrankungen den Mortalitätsdaten nur bedingt. Zwar ist auch das Erkrankungsrisiko im Gesamtgebiet und dort wieder bei Frauen deutlich erhöht. Nur sind diese Abweichungen nicht nach den üblichen Kriterien signifikant und in der Teilregion B ist es sogar unterdurchschnittlich. Wie schon bei den Todesfällen besitzt auch bei den Neuerkrankugnen vor allem die Teilregion D ein erhöhtes Krebsrisiko. 

Dieses Ergebnis erhärtet den Verdacht, dass in der Untersuchungsregion überdurchschnittlich häufig Personen an Krebserkrankungen verstorben sind, wobei aber die Teilregionen C und D außerhalb der Kernregion die statistisch auffälligen Erhöhungen aufweisen.


Krebsneuerkrankungen 1987 - 2006 nach Untersuchungsregion und   Geschlecht
Region
Neuerkrankungen
SIR insgesamt
SIR Frauen
A
21
1,31
1,45
B
17
0,98
0,92
A und B
38
1,14
1,17
C
65
1,05
1,22
D
34
1,29
1,32
A - D
137
1,13
1,23
Quelle: NLGA


Die Anschlussuntersuchungen des Jahres 2009

Im folgenden Jahr 2009 veröffentlichte das Krebsregistr zwei Anschlussuntersuchungn zur ersten Stude von 2007, in der die Krebsdaten von Stapelfed mit denen der Stadt Cloppenburg (2009a) bzw. der Landkreises Cloppenburg (2009b) verglichen wurden.

Dabei stellte man fest, dass "die Wahl des Landkreises Cloppenburg als Vergleichsregion im Gegensatz zur Stadt Cloppenburg den Wert erwarteter Krebssterbefälle in der Untersuchungsregion" nicht "maßgeblich beeinflusst". Auch bei alternativer Nutzung von Mortalitätsraten der Stadt Cloppenburg ergaben sich somit vergleichbar erhöhte SMRs.

Dieses Ergebnis der orientierenden Evaluation wurde als Erhärtung des Anfangsverdachtes einer regionalen Krebshäufung gewertet. Für die am dichtesten an die Deponie angrenzenden Wohnbereiche A und B waren die durchgeführten Tests jedoch weder einzeln noch zusammengefasst signifikant. Das Verhältnis der beobachteten zur erwarteten Fallzahl (SMR) war zwar bei Frauen auch in diesen Wohnbereichen erhöht, blieb jedoch deutlich unter der
Größenordnung der weiter entfernt liegenden Wohnbereiche C und D.


Bei auffallend hohen Mortalitätsraten für die Stadt Cloppenburg wären die Möglichkeiten weitergehender Analysen abzuklären und ggf. in die Wege zu leiten.

Trotz der inzwischen veröffentlichten Studie des Landesgesundheitsamts mit ihrer abweichende Signfikanzaussage bekräftigte ds EKN daher seine alten Ergebnisse mit den Worten: "Die Aussagen und Beurteilungen der ersten Untersuchung bleiben daher unverändert bestehen. Neue Erkenntnisse ergeben sich durch diese Untersuchung nicht." (Kieschke 2008, S. 12)

 
Der Kampf um die Verursachung der Krebserkrankungen


Aus dem amtlich und wissenschaftlich bestätigten erhöhten Krebsrisiko in der Umgebung der Mülldeponie Stapelfeld zogen die zuständigen Stellen in der Stadt, dem Kreis und dem Land nicht die Schlussfolgerungen, die die betroffenen Einwohner und der VVC erwartet hatten. 


Dabei wurde der angenommene  enge Zusammenhang zwischen Emissionen der Deponie von den Medizinern und Statistikern in Frage gestellt.

Zentrales Argument war dabei die Signifikanz de Ergebnisse. Zwar ergaben die die veröffentlichten Untersuchungen zur Mortalität bzw. Inzidenz eine erhöhte Zahl von Krebserkrankungen im Untersuchungsgebiet, Dabei lag die Erhöhung bei den Neuerkrankungen, die vom Ansatz her zeitlich näher als das Todesdatum an möglichen Umweltrisiken liegen, jedoch "im Bereich der üblichen Zufallsschwankungen". 

Auch liegt das höchste Krebsrisiko fast durchgängig nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft der Deponie, also im Bereich A bzw. dem Gebiet A  und B, was man bei einer Verursachung durch eine Emission aus der Deponie erwarten müsste. Die ausgeprägteste Häufung trat hingegen nicht in unmittelbarer Nähe zur Deponie auf. (NLGA 2009)

Aus einer speziell durchgeführten Literaturstudie des NLGA unter dem Titel „Bekannte oder vermutete Risikofaktoren für das Multiple Myelom - Übersicht der wissenschaftlichen Literatur mit Schwerpunkt auf diskutierte umwelt- und arbeitsplatzbezogene Risiken“ ergaben sich zudem keine Hinweise auf potentielle Umweltrisiken für das Multiple Myelom, denen im Untersuchungsgebiet gezielt nachgegangen werden könnte. So traten die „möglichen Risikofaktoren“ nach allen vorliegenden Informationen im Südwesten der Stadt Cloppenburg nicht in Konzentrationen auf, für die Effekte in den publizierten Studien beobachtet wurden

Es fehlte damit der Hinweis auf einen etwaigen umweltbedingten Risikofaktor, der gezielt aufgegriffen werden könnte. So wurde dezidiert für die mehrfach als möglicher Verursacher diskutierte Deponie anhand verschiedener, u.a. toxikologischer Untersuchungen ausgeschlossen, "dass eine Nachbarschaftsgefährdung von ihr ausgeht."

Einen Ansatz für eine weitere Ursachenforschung sahen die Wissenschaftler nicht, da "bislang .. keine alternativen stofflichen Belastungen oder andere mögliche Risikofaktoren benannt" werden konnten, "für die zu überprüfen sei, ob ähnliche Untersuchungen durchzuführen seien." 

Zur Präzision der weitern Diskussion schlug man eine sprachliche Differenzierung zwischen einem "kausalen Faktor" und einem "Risikofaktor" vor. Dabei verwies man auf die weiterhin begrenzte Kenntnis des kompletten Wirkungsmechanismus bei Krebserkrankungen und wollte weitestgehend den Begriff Risikofaktor verwenden, "und zwar in dem Sinne, dass ein Risikofaktor dann vorliegt, wenn hinreichend nachgewiesen worden ist, dass er das Risiko für ein Multiples Myelom erhöht". (Hoopmann u.a., S. 12)

Das ließ sch jedoch aus den Daten für Stapelfeld nicht zuletzt aufgrund der geringen Fallzahl nicht nachweisen, sodass man logisch folgerte, in dem Untersuchungsgebiet bestehe aufgrund von giftigen Emissionen kein "erhöhtes Risiko"


Parlamentsanfrage und Gegengutachten 



Die harte Position de Landesgesundheitsamtes, die auch vom damaligen FDP-Umweltminister unterstützt wurde, führte zu einer parlamentarischen Kontroverse, als der grüne Abgeordnete und spätere Umweltminister Mitte Mai 2010 eine keine Anfrage zum Thema "Gefährdungen für Anwohnerinnen, Anwohner und Umwelt durch die Deponie Stapelfeld im Landkreis Cloppenburg - Wo liegen die Ursachen für die Krebshäufungen?" einbrachte. Darin stellte er 21 Einzelfragen, die anschließend beantwortet wurden.

Die Antwort des Umweltministeriums erfolgte Ende September 2010. Darin wurden, was nicht überraschen wird, die Positionen des Krebsregisters bzw. des Landesgesundheitsamtes erneut vorgetragen


Zunächst stellte das Ministerium die damalige Situation der Deponie heraus, die das aktuelle Gefahrenpotenzial relativierte. Danach begann die Ablagerung von Hausmüll, hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen, Sperrmüll und Garten- und Parkabfällen 1967 zunächst auf dem "Altfeld" genannten Teil eines ehemaligen Tonabbaus. Nachdem dieser Bereich 1981 außer Betrieb genommen war, wurde von da an das angrenzende Neufeld mit den o. g. Abfällen beschickt. Hier wurde die Deponierung weitestgehend bereits 1996 beendet, sodass die Außerbetriebnahme mit der Stilllegungsanzeige 2005 vollzogen wurde und sich die gesamte Deponie "in der Stilllegungsphase", befindet, für die Maßnahmen zur Sicherung und Rekultivierung vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt (GAA) Oldenburg angeordnet wurden.

Hinsichtlich möglicher Emissionen von der stillgelegten Deponie wurden nach der Einschätzung des Ministeriums "im Rahmen der Ausbreitungsrechnung .. unter sehr konservativen Annahmen für die Stoffe Benzol und Schwefelwasserstoff die Konzentrationen in der Luft an den relevanten Immissionsaufpunkten im Nahbereich der Deponie ermittelt". Dabei wurden "im Ergebnis .. die relevanten Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit für diese Stoffe zum Teil deutlich unterschritten."

Aufrund der Krebsstudien von NLGA und EKN lässt sich daher für das Ministerium " nicht undifferenzierend von einer „eindeutigen“ Krebshäufung" sprechen.
Zu diesen Ausführungn des Umwelmisntierums nahmen die beiden wissenschaftlichen Berater des VVC, der Umweltmediziner Prof. Dr. med. R. Frentzel-Beyme sowie die Biochemikerin Prof. Dr. Irene Witte, im November 2010 bzw. im Januar 2011 ausführlich Stellung. Ihre bereits teilweise bekannten Positionen gingen dabei auch in eine Petition an den Landtag ein.


Die Petition von 2010


Zeitlich teilweise parallel konnte der VVC die Stapelfelder Krebsfälle in einem weiteren institutionellen Rahmen im Hannoveraner Landtag diskutieren lassen, wodurch sowohl die gewählten Entscheidungsträger als auch eine breitere Öffentlichkeit auf das erhöhte Krebsrisiko und den Kausalitätsstreit aufmerksam wurden.



   Übergabe der Petition an den Landtagspräsidenten Hermann Dinkla
                           Quelle: Webseite des VVC


Nach diesem für den VVC entäuschenden Reulatet, das sich schnell Stadt, Kreis und Land zu eigen machten, reichte die Stapelfelder Bürgerinitiative a
m 7. September 2010 eine Petition beim niedersächsischen Landtag in Hannover ein, die fast 850 Personen unterschrieben hatten und in der der Petitionsausschuss des Landtages aufgefordert wurde, "sich für die Interessen der Bevölkerung in Cloppenburg einzusetzen".

Zentrales Thema war darin die Ursachenforschung, für die eine konkrete Unterstützung erbeten wurde. Dabei bezogen sich die Petenten auf das
niedersächsische Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst  (NGöGD). Danach müssen die Landkreise und kreisfreien Städte entsprechend § 6 NGöGD Gesundheitsgefährdungen, die auf Umwelteinflüssen beruhen, untersuchen und bewerten und auf deren Verhütung und Beseitigung hinwirken.

Konkreter Anlass der Petition war dabei die Weigerung des Landkreises Cloppenburg, die Ursachen des erhöhten Krebsrisikos in Stapelfeld untersuchen zu lassen; denn der VVC lehnte es ab, die Krebshäufung "nur zu beobachten" und das Problem so nur zu "verwalten".


Für den VVC ließ sich die Bevölkerung nur "aktiv schützen",  wenn man die Ursachen des Krebs kennt. Wer daher, so die Schlussfolgerung der Vertreter der Cloppenburger Bürgerinitiative, die Urschen nicht erforschen will, "nimmt billigend in Kauf, dass die Bevölkerung in Cloppenburg überproportional an Krebs erkrankt und stirbt".

Auch hatte der ehemaligen Leiter des Landesgesundheitsamtes weitergehende Untersuchungen  bei einer nachgewiesenen Krebshäufung öffentlich versprochen worden. So wurde er in der Nordwestzeitung vom 30.10.2006 mit der Aussage zitiert: „Sollte sich tatsächlich eine unerklärliche Häufung von Krebsfällen herausstellen, werde man alles tun, um den Ursachen auf den Grund zu gehen und diese auszumerzen“  

Diese Häufung sah der VVC als gegeben an, da die Gutachten vom Krebsregister und vom Landesgesundheitsamt deutlich erhöhte Krebshäufigkeiten im Bereich der Deponie ermittelt hatten. Nur beschränkte sich eine anschließende Ursachenforschung auf eine Literaturauswertung zum Multiplen Myelom.


Entgegen der Interpretation durch den VVC konnten, wie die Petition durch Zitate belegt, zuständige Behördenvertreter keine "Verpflichtung .. zu einer weitergehenden Uraschenforschung" erkennen, keinen "sinnvollen Ansatzpunkt für vertiefende Untersuchungen" identifizieren oder hielten "ohne konkreten toxikologischen Anfangsverdacht .. eine zielführende Ursachenforschung in einem nächsten Untersuchungsschritt" für "praktisch unmöglich".

In einem speziellen Kurzgutachten zur "Toxikologischen Bewertung von Emissionen aus der Deponie Cloppenburg/Stapelfeld für die nähere Umgebung“ wurde herausgestellt, dass  für alle betrachteten Stoffe, zu denen Vinylchlorid sowie BTEX einschließlich Benzol und Schwefelwasserstoff gerechnet wurden, die Konzentration "im Deponierohgas zunächst z. T. sehr deutlich oberhalb der Referenzkonzentration der chronischen Exposition" liegt (NLGA 2008a, S.11). Der anschließenden Annahme „Belastungen der Atemluft der Bevölkerung im Wohngebiet in der Folge von möglichen Deponiegasemissionen" seien "wegen der hohen Verdünnungsraten und vorherrschenden meteorologischen Bedingungen praktisch nicht möglich“ widersprach der VVC jedoch heftig, da sie nicht durch Messwerte belegt wurde. Man forderte daher eine öffentliche Rücknahme des "rein spekulativen" Gutachtens.

An seine Stelle sollte eine Studie treten, die sowohl "promovierend wirkende organische Verbindungen in der Deponie sowie den Luft- und Wasserpfaden" berücksichtigt als auch das multifaktorielle Zusammenwirken verschiedener Schadstoffe. Dazu hätte man, wie es der vom VVC konsultierte Bremer Umweltmediziner Prof. Rainer Frentzel-Beyme vorgeschlagen hat, eine Benzolexposition durch eine Urinanalyse prüfen müssen.  

Der Landtagspräsident als Empfänger der Petition sollte sich wegen des vom VVC gesehenen "klaren Verstoßes gegen das Niedersächsische Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst für eine Ursachenforschung einsetzen. Dazu wurden gleich eine Reihe von konkreten Aufgaben genannt, die sich vor allem auf ergänzende Emissionsmessungen, Neubewertungen vorgenommener Einschätzungen und Sofortmaßnahmen bezogen:

-  eine Abklärung des Krebsrisikos besonders für Frauen,

- genaue Messungen der Ausgangskonzentrationen der emittierten Deponiegase,

- personennahe Messungen der Immissionen im Wohnumfeld der Bürger, 


- ein Nachweis der chronischen Belastung der Bevölkerung mit diversen Schadstoffen, 

- eine Neubewertung der bisherigen Betrachtungen unter Berücksichtigung der Beiträge von Prof. Frentzel-Beyme, 

- die Errichtung einer Messstation im Untersuchungsgebiet zur Erfassung vorhandener Schadstoffe in der Luft, 

- regelmäßige kostenlose Vorsorgeuntersuchungen der Bevölkerung sowie 

- Sofortmaßnahmen zur Reduzierung von Emissionen im Umfeld der Deponie.


Mitte April 2011 brachte das NDR-Fernsehen in seiner Sendung „Menschen und Schlagzeilen” einen Beitrag unter dem Titel "Krebsrisiko Mülldeponie?", der sich über youtube weiterhin abrufen lässt. Darin wird u.a. die "arrogante" Haltung der Cloppenburger Spitzenpolitiker deutlich, die kein Interesse an einer tatsächlichen Aufklärung des erhöhen Krebsrisikos erkennen ließen.




















 












 

Quelle: youtube

Der Postmonitoringbericht von 2013

Vom Landkreis Cloppenburg wurde das EKN gebeten, weiterhin prospektiv die Krebsmortalität in dem Untersuchungsgebiet zu analysieren. Grundsätzlich sollte das Postmonitoring derart konzipiert werden, dass eine statistische Bewertung nicht erst am Ende einer zuvor festgelegten Nachbeobachtungsspanne erfolgt, sondern dass auch während des laufenden Monitoring eine aktive Warnung ausgelöst werden kann, wenn eine deutliche Erhöhung der Krebsmortalität anzunehmen ist.

Die Auswahl der einzubeziehenden spezifischen Diagnosen(gruppen) wurde jedoch erweitert, so dass man als primär zu testende Fragestellungen der Mortalitätsanalyse für das Untersuchungsgebiet festgelegt hat:

- Mortalität an Bauchspeicheldrüsenkrebs (C25) bei Frauen, 
- Multiples Myelom (C90) bei Männern und Frauen zusammengefasst, 
- Krebs gesamt (C00-C97 ohne C44) bei Männern und Frauen gemeinsam, 
- Mortalität an Brustkrebs (C50) bei Frauen sowie
- Mortalität an Darmkrebs (C17-21) bei Männern.

Für den untersuchten Zeitraum 2007 - 2011, der sich unmittelbar an die zuvor analysierten Jahre zwischen 1987 - 2006 anschloss, lag das SMR für Krebs insgesamt mit 1,27 niedriger als in der ersten Untersuchung (SMR 1,46) und noch innerhalb des Erwartungsbereiches bei einem Signifikanzniveau von 95%. Die für das Untersuchungsgebiet beobachtete leicht erhöhte Krebssterblichkeit war damit bei Männern und Frauen zusammengefasst in den Jahren 2007 - 2011 statistisch nicht signifikant.


Krebsmortalität in den Zeiträumen 1997 - 2005 und 2007 - 2011
Diagnose
Sterbefälle
1997-2006
Übermortalität
1997-2006
Sterbefälle
2007-2011
Übermortalität
2007-2011
Krebs insgesamt
92
0,46
26
0,27
Multiples Myelom
4
2,33
1
1,00
Darmkrebs
7
0,75
0
-1,00
Bauchspeicherdrüsenkrebs
6
3,29
2
4,00
Brustkrebs
9
0,64
5
2,33
                             Quelle: Kieschke 2013, S. 10, eigene Berechnungen.


Die beobachtete Krebsübersterblichkeit in der aktuellen Untersuchung beruhte weitgehend auf Brustkrebssterbefällen bei Frauen, während Darmkrebs bei Männern im Gegensatz zur ersten Untersuchung überhaupt nicht beobachtet wurde. Bei den durchgeführten sequentiellen Tests der einbezogenen Diagnosen erreichte keine der Diagnosen zu irgendeinem Zeitpunkt die Kriterien, bei denen eine Warnung oder Entwarnung gegeben werden könnte. Das Postmonitoring sollte daher nach dem Urteil des Krebsregisters bis auf Weiteres fortgeführt, aber auf Neuerkrankungen umgestellt werden.


Ein Gespäch von VVC-Vertretern mit der Sozalministerin


Treffen der Sozialministerin mit zwei Landtagsabgeordneten und drei VVC-Vertretern


                                    Quelle: VVC-Webseite

 



Nach der Veröffentlichung dieser "Entwarnung" durch das Krebsregister und dem im Februar 2013 erfolgten Regierungswechsel in Hannover gelang es dem VVC an Rande einer Landtagssitzung mit der neuen SPD-Sozial- und Gesundheitsministerin über die Krebsmortalität im Südwesten der
Stadt Cloppenburg zu sprechen.  Über den Anlass und die Inhalte informierte der VVC in einer Presseerklärung vom 24.06.2013.

Im  Gespräch wies der VVC auf die erneut na
chgewiesene hohe Krebsübersterblichkeit, vor allem für an Brustkrebss erkrankten Frauen mit einem SMR von 3,33 hin. Um die unterschiedliche Beurteilung der Verursachung zu überbrücken, schlug die Ministerin ein Gespräch zwischen den beiden Parteien mit ihren gegensätzlichen Standpunkten vor. Darin sollten sowohl die emotionalen als auch die fachlichen Unterschiede in einem offenen Dialog analysiert und festgehalten werden, "um Ungereimtheiten aus den Weg zu räumen". Dabei wünschte sich die Ministerin nicht nur eine Teilnahme der Fachleute beider Seiten, sondern auch von Vertretern des VVC, "damit der fachliche Austausch transparent sichtbar ist."

In diesem Vorschlag sah der VVC einen "Durchbruch für die Klärung der fachlichen Einordnung der beobachteten Krebsübersterblichkeit im Südwesten der Stadt Cloppenburg". Besonders euphorisch war man jedoch vor allem wegen der Gesprächsbereitschaft der neue Landesregierung, die "die Sorgen der Bürger ernst nimmt". Daher endete die Presseerklärung mit dem emotionalen Resümee: "Dies nennt man Bürgernähe."



Rekultivierung statt Kausalitätsanalyse


Während die Öffentlichkeit seitdem nichts mehr über die Diskussion der Ursachen einer Häufung von Krebsfällen erfahren hat, kommt die Abdeckung der ehemaligen Siedlungsabfalldeponie voran, nachdem de Arbeiten europaweit ausgeschrieben wurden.


Dabei soll der Müll so abgedeckt und gesichert werden, "dass kein Sickerwasser mehr in den Boden dringen und eventuell Schadstoffe ins Grundwasser spülen kann" Zunächst sollen die rund 120 000 Kubikmeter Müll auf dem mehr als zehn Hektar großen Areal vom Alt- auf den Neuteil der Deponie Stapelfeld umgelagert werden. Für die Abdichtung des riesigen Müllberges sind spezielle Kunststoffdichtungsbahnen vorgesehen, die man um ein Dichtungskontrollsystem ergänzen will. Zusätzlich soll der Müllberg mit einer Schutzschicht aus Geotextil und Sand bedeckt werden, auf die eine Rekultivierungsschicht von etwa einem Meter Stärke folgt, auf der Kräuter und Gräser ausgesät werden.

Das Wasser eines in der Nähe liegenden Sickerwasserteiches soll zusätzlich in zwei andere umgepumpt werden, sodass sich der der Schlamm am Teichboden abgetragen und auf dem frisch umgeschichteten Müllberg deponieren lässt. (Kramer 2013 und 2015)

Im Haushalt des Landkreises Cloppenburg wurden für die Sicherung und Rekultivierung der ehemaligen Siedlungsabfalldeponie 7,35 Millionen Euro angesetzt. Für das Vorhaben wurden Rücklagen angespart, die jederzeit zur Verfügung stehen. Man hätte also die Sorgen der Bürger bereits vor Jahren aufgreifen können und die aufgeladene Situation entschärfen, indem Politik, Verwaltung und Bürgerinitiative gemeinsam eine transparente Lösung ohne wissenschaftliche und politische Rangeleien gesucht hätten. Es ging und geht hier schließlich nicht um verwaltungsjuristische Spitzfindigkeiten, sondern um die Gesundheit und das Leben von Menschen.



Quellen:

Hoopmann, Michael, Ohlendorf, Kristin und Wollin, Klaus-Michael, Bekannte oder vermutete Risikofaktoren für das Multiple Myelom Übersicht der wissenschaftlichen Literatur mit Schwerpunkt auf diskutierten umweltund arbeitsplatzbezogenen Risiken, Hannover, im März 2009

Kieschke, Joachim, Kleinräumige regionale Auswertung von Mortalitätsdaten in einem Wohngebiet im Südwesten  der Stadt Cloppenburg. Analyse der Sterbejahre 1987 bis 2006 als Beitrag zur „orientierenden Evaluation“ eines vermuteten Krebsclusters, Oldenburg, März 2008.

Kieschke, Joachim, Evaluation der Krebsmortalität in Cloppenburg auf Basis der Todesursachenstatistik. Vergleich von Krebsmortalitätsraten ausgewählter Diagnosen zwischen Niedersachsen, dem Landkreis Cloppenburg und der Stadt Cloppenburg in der Zeit von 1986-2007, Oldenburg, Oktober 2009.

Kieschke, Joachim, Kleinräumige Kleinräumige regionale Analyse von Mortalitätsdaten in einem Wohngebiet im Südwesten  der Stadt Cloppenburg. Analyse der Sterbejahre 1987 bis 2006 als Beitrag zur „orientierenden Evaluation“ eines vermuteten Krebsclusters. Ergänzende Analyse: Referenzregion Stadt Cloppenburg, Oldenburg, im Oktober 2009

Kieschke, Joachim, Postmonitoring der Krebsmortalität im Südwesten der Stadt Cloppenburg Analyse der Sterbejahre 2007 bis 2011, Oldenburg, im Januar 2013.

Kramer, Anuschka, Krebssterblichkeit um Mülldeponie Stapelfeld erhöht. Studie zu Erkrankungen im Südwesten Cloppenburgs veröffentlicht, in: NWZ vom 2.3.2013.

Kramer, Anuschka, Stapelfeld. Deponie-Abdeckung beginnt Ende Juni. Kreis lässt rund 120 000 Kubikmeter Müll umschichten – 7,35 Millionen Euro eingeplant, in: NWZ vom 17.5.2013.
Kramer, Anuschka, Über Millionen-Projekt wächst jetzt Gras. Altdeponie abgedichtet, in: NWZ vom 8.9.2015.

Kreke, Hubert, Häufung von Krebsfällen neben der Deponie! Familien listen
32 Erkrankte und Todesopfer auf: "Das kann kein Zufall sein" - Ministerium sagt Untersuchung zu, in: Münsterländische Tageszeitung vom 12.10.2006.

Landkreis Cloppenburg (Hg.), Erfassung von Krebserkrankungen im Bereich von Stapelfeld - Kurzfassung -, o.O. u. o.J. 

Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (Hg.), Kurzbericht. Die Ergebnisse zu der „orientierenden Evaluation“ des vermuteten Krebsclusters bei Cloppenburg-Stapelfeld, März 2008a.

Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (Hg.),Toxikologische Bewertung von Emissionen aus der Deponie Cloppenburg / Stapelfeld für die nähere Umgebung, Hannover, im März 2008b.

Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (Hg.), Epidemiologische Untersuchungen im Anschluss an die orientierende Evaluation des vermuteten Krebsclusters im Südwesten der Stadt Cloppenburg, Hannover, im November 2009.

NN, Ursachen für Krebsfälle weiter untersuchen. Wissenschaftler unterstützen VVC und Grüne. Bisherige Studien "teilweise inkompetent", in: Sonntagsblatt für den Kreis Cloppenburg vom 23.1.2011.

NN,  Deponie-Rekultivierung vor dem Abschluss, in: NWZ vom 21.02.2015


Simon, Armin, Hohe Krebsrate durch Mülldeponie. Zweifel an der Expertise, in: taz vom 20. 1. 2011.



Anhang:


Abgrenzung der Untersuchungsregionen A - D


Den A-Bereich bildet das nordöstlich der Deponie gelegene Gebiet zwischen dem Ziegeleidamm, der Ziegelhofstraße und der B 213.

Der B-Bereich schließt sich östlich an und reicht bis zum Kessener Weg. Im Norden wird der B-Bereich von der Lupinenstraße und im Süden vom Bahndamm in Tegelrieden (Gemeinde Cappeln) begrenzt.

Der C-Bereich ist die Wohnsiedlung zwischen der Lupinenstraße, dem Kessener Weg und der Löninger Straße.

Der vierte Teil des Untersuchungsgebietes liegt nördlich der B 213. Dieser D-Bereich reicht im Norden bis an die Vahrener Straße und im Westen bis zur Welse- und Huntestraße. 



Mortalität nach Lokalisationen


Lokalisation Kenn-Nr. Todesfälle
Übersterblich-keit Männer
Übersterblichkeit Frauen
Darm C17-C21 12
3,0
-0,2
Gallenblase C23-C24 3
1,7
0,1
Multiples Myelom C90 4
1,4
1,4
Leber C22 4
1,3
1.5
Lunge C33-C34 16
1,1
2,9
Mund und Rachen C00-C14 3
1,1
0,8
unbekannter Primärtumor C80 6
0,8
2,4
Niere und sonstige Harnorgane C64-C66, C68 3
0,6
0,3
Kehlkopf C32 1
0,6
-
Non-Hodgkin-Lymphome C82-C85 3
0,3
1,3
Leukämien C91-C95 2
0,0
-0,1
Speiseröhre C15 2
-0,1
0,7
Harnblase C67 2
-0,1
0,5
Bauchspeicheldrüse C25 7
-0,5
4,6
Magen  C16 4
-1,3
0,8
Prostata C61 1
-1,9
-
Brustdrüse C50 9
-
3,5
Eierstock C56 5
-
3
Gebärmutter C53-C55 3
-
1,5
Andere Diagnosen - 0
-2,8
-2,1
Summe  C00-C95 92
5,1
23,9
Quelle: Kieschke 2008, S. 15 f.


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